R E C E N T

Kirschblütenfrost

Viel zu lange, und doch erst einen Moment, ist sie bereits auf dieser Suche. Auf dieser Suche nach einem nicht ganz greifbaren Etwas, das si...

8/08/2021

Kirschblütenfrost

Viel zu lange, und doch erst einen Moment, ist sie bereits auf dieser Suche.
Auf dieser Suche nach einem nicht ganz greifbaren Etwas, das sie hier vor langer Zeit verlor.
Ein nicht ganz greifbares Etwas, dem sie einst soviel Bedeutung bemaß.
Soviel Bedeutung, dass sie sich nicht mehr daran erinnern kann, wieviel genau.

Diese Suche nach diesem nicht ganz greifbaren Etwas. Vielleicht ist es schon lange nicht mehr hier. Ganz bestimmt nicht.
Ganz bestimmt nicht.
Doch sucht sie weiter, Tag für Tag, Meter für Meter, Herzschlag für Herzschlag.
Nach dem lange vergessenen Sinn, nach der Wärme.
Wenn sie nichts mehr sehen kann, schließt sie die Augen und sucht weiter.
Schritt für Schritt schleppt sich der grazile Körper vorwärts, durch die verschneite, malerische Ebene ihrer Welt.
Windstöße prallen ihr entgegen, doch schleudert sie sich dagegen mit all ihrer Kraft.
denn sie ist
Schneewehen pflastern ihren Weg, gepunktet von Kirschblüten.
Blaue Lippen zieren ihr Gesicht, gerötet von Kirschblütensaft.
Nicht von Wein.

So schleppt sie sich vorwärts, müde, abgekämpft. Doch immer weiter.
denn du bist

Viele Momente später - oder war es nur ein Augenblick - öffnet sie die Augen und sieht.
Den Rand der Schneeverwehungen
Ein entferntes Dojo, friedvoll in der Ferne schlummernd. Aus den Fenstern gedämpfte Lichtlinien, dahinter
Schatten.
Ein kleines Mädchen, Zöpfe tragend, mit gefalteten Beinen auf dem Baumstumpf neben ihr sitzend und
wie sie die Shamisen spielt. Zärtlich, doch nicht zögerlich. Zögerlich, doch nicht zögerlich.
Bestimmt 
                , doch behutsam.
                  ist das nur Einbildung.
Das Mädchen lächelt sie an und hält inne.
Weißt du, sagt sie, es ist noch hier. Aber ich habe es noch nicht gefunden.
Sie spielt weiter, immer noch lächelnd und schauend und plötzlich

Sie lächelt.
Es ist noch hier.
Während der Gedanke zusammen mit den Worten in ihrem Kopf verhallt, verweilt sie.
Das Mädchen spielt und sie verweilt.
Erfüllt von dem nicht ganz greifbaren Etwas, dem lange vergessenen Sinn, der ersehnten Wärme
Es ist noch hier.
Einen Augenblick später - oder waren es viele Momente - macht sie kehrt.
Ein Blick über die Schulter, doch ehe sie den Mund öffnen kann, lächelt das Mädchen wieder
und spielt Shamisen, ohne zu schauen.
Durch den Kirschblütenreigen wandert sie zurück. Die Melodie in ihrem Herzen.
Durch den Kirschblütenregen wandert sie zurück. Immer noch erfüllt von der Wärme, bis
Eines Tages...
Eines Tages werde ich zurückkehren, denkt sie lächelnd.

Sie kehrte jedoch niemals wieder.
Denn das ist der Kirschblütenfrost.

8/01/2021

Stellarer Nebel

Eine verlassene Landstraße, im hellen Nebel des Frühmorgens.
Schlangengleich windet sie sich durch die karge, isländische Landschaft.
Hier gibt es keine Bäume. Sie verließen diesen Ort vor langer Zeit.
Hier gibt es keine Tiere. Sie verließen diesen Ort vor langer Zeit.
Die Gebirge sind geblieben, sie säumen unseren Gang in weiter Ferne.
Nach links, nach rechts windet sie sich, beinahe Ouroboros gleichend.
Und ich mich mit ihr.

Ein Vulkan bricht aus.
In Stille, nur ein dumpfes Krachen.
Als ob ein großer Fels von einer hohen Brücke auf eine glatte Wasseroberfläche stürzt.
Langsam, majestätisch
spritzt das Blut des Vulkans in den Himmel
begleitet von Bakterien, Krankheit, Alkohol, Gischt
Tropfen für Tropfen
Brocken für Brocken
findet seinen Weg in die Atmosphäre hinein.
Und ich mich mit ihnen.

Der Himmel ist voll von Asche und Feuer.
Funken fliegen friedvoll, federgleich.
Ich liege am Boden
Wieso liege ich am Boden
Meine Hände zittern.
Ich atme weiße Wolken und blute kaltes Blut.
Meine Hände zittern.
Ich rieche Schweiß und blute kalt.
Mit den Funken fliege ich friedvoll, federgleich.
Federgleich.
Es regnet.
Um mich herum stellarer Nebel.

Zärtlich nähert sich die Masse,
der blutende Vulkan.
Meine Hände zittern.
Und ich mit ihnen.