Guten
Tag, ich hab Borderline. Zudem konstruiere ich mit Wesen im
Entwicklungsstadium stundenlang am Tag Sandburgen und stelle sie
pädagogisch korrekt, nämlich mit dem Gesicht zur Wand in die Ecke,
wenn sie mich nicht beim UNO gewinnen lassen.
Kurzum,
ich bin Erzieher.
Nun
ist Borderline eine Sache, die der breiten Masse nicht unbedingt
bekannt ist. Und wenn doch, dann in 73% aller Fälle aus Green
Days „Boulevard of Broken Dreams“.
Das Lied ist übrigens absoluter Schrott wie ich finde, aber das tut
hier ja nix zur Sache. Können das ja mal grade klären.
Mit
Borderline gibt es zwei Arten von Tagen, quasi wie beim
Fernsehprogramm. An einem Tag fühlt sich alles an wie der Film John
Wick, allerdings nicht mit Keanu Reeves in der Hauptrolle, sondern
eher einer brandheißen, zeigefreudigen Rothaarigen. Nackt. Die ganze
Zeit. Auch in Kampfszenen. Vor allem in Kampfszenen.
Kurzum:
absolut erste Sahne.
Die
zweite Art von Tagen fühlt sich an wie ein Prominentenspecial von
Wer Wird Millionär?
mit Oliver Pocher, Daniela Katzenberger, Donald Trump und dem Typen
von der Pegida als Gästen und moderiert von Markus Lanz. Die
Titelmelodie neu eingespielt und vertont von und mit Marianne
Rosenberg und in jedem Werbeblock sieht man Heino, wie er David Bowie
Songs covert und sich dabei kleidet wie eine transsexuelle
Aufstockprostituierte aus Uganda.
Kurzum:
Schrott, absoluter Dreck.
Diese
zwei Arten von Tagen variieren unwillkürlich, der Prozess ist nicht
beeinflussbar und wirkt sich, oh Überraschung, auf die Stimmung aus.
Ich hab das jetzt schon 'ne ganze Weile und mit der Zeit lernt man,
sich damit zu arrangieren. Ich zum Beispiel find' einfach
grundsätzlich alles doof. Das spart Zeit, Emotionen und meistens
auch 'ne Stange Geld. Arbeiten und leben lässt sich damit trotzdem.
Es ist nicht so, dass man die Krankheit nicht mehr merkt, man gewöhnt
sich nur irgendwie dran. Wie mit diesem dezenten Schnupfen, der drei
Monate lang nie richtig weggeht. Man putzt sich zwar hundert Mal am
Tag die Nase, aber irgendwann macht es einem weniger aus. Läuft.
Wenn
dann allerdings mal wieder einer dieser John Wick Tage kommt, trifft
mich das meist genauso unvorbereitet wie alle anderen. Versteh'n Sie
mich nicht falsch, es is' nicht so, als würd ich dann Blumensträuße
kacken und auf Regenbogen über die Straße federn, aber ich bin dann
zumindest so etwas wie gesellig. Nicht arg, aber schon so, dass es im
Vergleich zu sonst auffällt.
Wieso
erzähl ich das? Nein, ich will kein Mitleid. Ich will auch keine
Rücksicht. Noch nicht einmal Verständnis will ich, zumindest nicht
für mich. Ich möchte Klarheit schaffen. Es thematisieren. Dieses
traurige Tabu, mit dem psychische Krankheiten noch immer behaftet
sind, aus der Welt schaffen.
Ich
liebe meinen Beruf. Und ich schätze jedes einzelne meiner
Kindergartenkinder. Das habe ich schon immer, und das werde ich
immer. Nur weil ich psychisch krank bin, bin ich nicht
gesellschaftsunfähig. Ich bin kein schlechterer Erzieher. Ich bin
auch nicht verrückt. Ich bin nur mal öfter nicht so gut drauf.
Ich
verbringe meine Zeit nicht damit, voller Selbstmitleid ein Klavier
anzuschauen, weil ich es nicht spielen kann, oder mir aus Selbsthass
Schnittwunden zuzufügen. Ich tue ganz normale Dinge. Ich koche,
spiele Karten, gehe spazieren, lese Bücher. Das ist Borderline.
Nichts besonderes.
Ja,
viele Tage sind Schrott. Aber mal ganz ehrlich – das sind die
ersten Zeichnungen Ihrer Kinder auch alle gewesen, und das wissen Sie
auch. Trotzdem haben Sie sich darüber gefreut. Oder zumindest so
getan. Und genau das ist der Punkt. Ich bin wie Sie. Nur hab' ich
eben immer Schnupfen im Kopf.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen